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Buchrezension: Das Geheime Leben der Bäume von Peter Wohlleben

Umwelt

Autor:

Knut K. Wimberger

Short summary:

Ein Buch des deutschen Försters Peter Wohlleben erklärt in verständlicher Sprache, warum wir bei Green Steps unsere Bildungsarbeit auf Bäume konzentrieren. Nur wer Bäume kennt, vermag sie zu schützen. Nur wer um ihre für uns lebensnotwendigen Ökosystemleistungen Bescheid weiß, vermag sie zu schätzen.

Peter Wohlleben schrieb bereits im Jahr 2015 einen Sachbuchbestseller, der komplett an mir vorbeiging, da ich einerseits nicht in Europa lebte und andererseits wenig deutschsprachige Literatur las. Aufgrund meiner Arbeit im Rahmen des Mobile Campus 4.0 und der Vermessung von urbanen Baumriesen, haben mich diesen Sommer gleich drei Freunde getrennt voneinander auf den deutschen Starförster aufmerksam gemacht. Ich konnte nicht anders und musste mir das Buch zulegen.

Nun, was gibt’s dazu zu sagen, was nicht schon gesagt worden wäre? Wahrscheinlich nicht viel. Ich kann nur eine Perspektive zu den 7815 Rezensionen, die der Autor auf good reads für die aus dem Deutschen übersetzte Englische Ausgabe „The Hidden Life of Trees: What they feel, how they communicate: discoveries from a secret world“ bekommen hat, hinzufügen. Peter Wohlleben ist ein Autor, der erfahrungsbasiert schreibt. Jedes, der kurz gehaltenen Kapitel ist aus dem Leben gegriffen und daher nicht langweilig und theoretisch wie Sachbücher manchmal sind. Die Länge der Kapitel eignet sich für Leser, die wenig Zeit haben, zumindest jeden Abend eine gute Menge an wichtiger Information über das Ökosystem Wald aufzunehmen.

Wohlleben hat mit diesem Buch kein literarisches Meisterwerk geschaffen, aber das war nicht sein Anspruch. Er hat aber der Wissenschaftskommunikation einen wichtigen Dienst geleistet, indem er komplexe ökologische Zusammenhänge, in einer für die Allgemeinbevölkerung zugänglichen Weise niederschreibt. Sein Stil ist leichtfüßig, angenehm und unverschnörkelt. Wenn man ihn mit einem der großen Schriftsteller vergleichen will, so fällt mir als erstes Ernest Hemingway ein, der mit The Old Man and the Sea, eine ähnlich einfache Sprache verwendet. Wohlleben hat es trotz oder aufgrund der vielen Bewertungen zu einer beachtlichen Gesamtnote von 4.06 gebracht.

Bemerkenswert ist das Timing des Buches, das mE wesentlich für den Erfolg verantwortlich ist. Der allgemeine Trend der stark urbanisierten Menschheit, sich wieder des Wertes der Natur zu entsinnen ist zweifelsohne gegeben, und hat sich in den vergangenen Jahren in einer Naturbewegung 2.0 manifestiert. Warum 2.0? Weil wir bereits vor etwa 100 Jahren am Höhepunkt der zweiten Industrialisierungswelle eine Naturbewegung in westlichen Gesellschaften erkennen konnten, die sich etwa in der Gründung der Naturfreunde (1895, Österreich), der Gründung der Pfadfinderbewegung (1907, England) und der Gründung von Schrebergärten (1865, Deutschland) bemerkbar machte.

Diese Naturbewegung 2.0 ist zwar einerseits mit noch umfassender Urbanisierung in Verbindung zu bringen, muß aber auch mit dem Aufkommen von sozialen Medien verbunden werden. Die Einführung von smart phones im Jahr 2007 hat es für den Bewohner von Konsumgesellschaften allzu einfach gemacht täglich unzählige Stunden vor Bildschirmen in verschiedenen Größen zu verweilen und dadurch biologische Verbindungen zur analogen Natur (was auch Mitmenschen mitumfasst) zu vergessen und gar nicht erst entstehen zu lassen (Levitin, 2015). Insofern sind das japanische Waldbaden, welches seit den 1980ern als Shinrin-Yoku bekannt geworden ist oder der vom Autor Richard Loev geprägte Begriff Nature Deficit Disorder neue Formen dieser technologiebedingten Naturentfremdung zu begegnen. Die Naturbewegung 2.0 kann mit dem Eintritt der „westlichen“ Welt in das Informationszeitalter verknüpft werden, welches durch die Einführung von Computern, Spielkonsolen und modernen Flachbildfernsehern, die tv on demand ermöglichen, gekennzeichnet ist.

Der überwältigende Erfolg des Autors Wohlleben ist also dem richtigen Zeitpunkt zuzuschreiben. Der Mensch sehnt sich nach der Natur; aber nicht nur. Der Mensch der Informationsgesellschaft will auch wissen, warum dies so ist. Einblicke in die Welt von Ökologen, Förstern und Biologen, gewinnen, also von Menschen lernen, die ihr Brot damit verdienen, einen Großteil ihrer Zeit in der Natur zu verbringen. Etwas was für die meisten Menschen vor 200 Jahren selbstverständlich war, aber mittlerweile eine Rarität geworden ist.

Wohlleben räumt mit falschen Annahmen und Bildern auf und erklärt mit bekannten Metaphern eine Welt, die sich für unsere Sinnesorgane nur schwer erschließen läßt. Dort wo es notwendig ist, untermauert er seine eigenen Beobachtungen mit wissenschaftlichen Studien, schafft es aber diese Angaben nie schwer wirken zu lassen. Sie verleihen dem Buch jedoch eindeutig mehr Glaubwürdigkeit – und das ist in einer Zeit von fake news allen Lesern willkommen: Sachwissen, Ehrlichkeit und sichtbare Leidenschaft für das Ding an sich.

Das Ding an sich, dem Wohlleben sein Leben gewidmet hat, ist der Wald. Ein komplexer Super-Organismus, der aus vielen Elementen besteht, nicht zuletzt, verschiedenen Arten von Bäumen. Der Förster schildert seine persönliche Transformation vom wirtschaftlich orientierten Waldmanager hin zum Waldbehüter und berufenen Pädagogen, der wichtige Ökosystemleistungen einer breiten Öffentlichkeit erklärt. Einzelne Baumarten werden in den Kapiteln eher nebenbei behandelt, während das Hauptthema in dieser „Ode an den Wald“ die Symbiose, die Kooperation zwischen Bäumen, Pilzen, Tieren, Kleinstlebewesen und nicht zuletzt dem Menschen ist.

In einer Kooperation zwischen Bäumen und Mikroorganismen entsteht der Boden, eine Substanz, die dem modernen naturentfremdeten Menschen wenig sagt. Wohlleben zeigt auf, daß Boden von Wäldern produziert wird und schließt daher scharfsinnig und für jeden nachvollziehbar: ohne Wälder kein Boden, ohne Boden keine Nahrung (lies nach im Kapitel: Im Reich der Dunkelheit). Weiters geht er einer typischen Kinderfrage auf den Grund: Wie kommt Wasser in den Wald oder überhaupt an Land? Seine Antwort war für mich in dieser Klarheit eine Erkenntnis, denn klassische Visualisierungen des planetaren Wasserzyklus (siehe oben), von denen ich mir schon viele zu Gemüte geführt habe, unterlassen es die essentielle Rolle des Waldes für das Landesinnere darzustellen.

Wälder sind nicht nur riesige Wasserpumpen die Regen relativ gleichmäßig über die Landmasse verteilen, sondern auch riesige atmosphärische Gefäße, die den planetaren Wasserzyklus verlangsamen. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an eine weitere Einsicht, die der Ökonom Jeremy Rifkin eloquent geboten hat: für jedes Grad Celsius an Temperaturanstieg werden 7% mehr Feuchtigkeit in die Atmosphäre aufgewirbelt, was letztlich zwar zu mehr, aber unsteten und sturmbedingten Niederschlag führt. Der Klimawandel bzw das Verlassen der goldilocks Bedingungen, die seit der neolithischen Revolution herrschen, ist daher sehr direkt mit der Veränderung bzw Reduzierung der planetaren Waldbiomasse verbunden.

Wohlleben schildert den Zusammenhang zwischen Wäldern und kontinentalem Niederschlag folgenderweise: Wasser fließt durch die Schwerkraft immer zum tiefsten Punkt, und damit würden die Kontinente austrocknen. Das wird nur durch stetigen Nachschub verhindert, den Wolken liefern, die sich über den Meeren bilden und dann mithilfe von Winden weitertransportiert werden. Dieser Mechanismus funktioniert allerdings nur bis in wenige hundert Kilometer Entfernung von der Küste. Je weiter es landeinwärts geht, desto trockner wird es, weil sich die Wolken abregnen und verschwinden. Schon nach 600 Kilometern wird es so trocken, dass die ersten Wüsten auftauchen. Leben wäre eigentlich nur in einem schmalen Band im Außenbereich der Kontinente möglich, das Innere wäre trostlos und verdorrt. Eigentlich. Denn zum Glück gibt es ja Wälder.

Pro Quadratmeter Wald breiten sich in den Kronen 27 Quadratmeter Laub und Nadeln aus. Dort oben bleibnt ein Teil des Niederschalgs hängen und wird gleich wieder verdunstet. Zusätzlich verbrauchen die Bäume im Sommer pro Quadratmeter bis zu 2500 Kubikmeter Wasser, das sie bei ihrer Atmung in die Luft abgeben. Durch diesen Wasserdampf bilden sich erneut Wolken, die dann landeinwärts ziehen und sich dort wieder abregenen. Das Spiel setzt sich immer weiter fort, sodass auch die entlegensten Gebiete mit Feuchtigkeit versorgt werden. Diese Wasserpumpe funktioniert so gut, dass sich die Niederschläge in manchen Großregionen der Erde, wie etwa dem Amazonasbecken, selbst mehrere tausend Kilometer von der Küste entfernt kaum von denen an der Küste unterscheiden. Einzige Voraussetzung: Es muss vom Mehr bis in den entferntesten Winkel Wald vorhanden sein. Vor allem, wenn der erste Baustein fehlt, bricht das System zusammen (lies weiter im Kapitel: Wasserpumpe Wald).

Nun besteht kein Zweifel mehr, dass gerade in dichtbesiedelten, küstennahen Regionen große Abschnitte von der Rodung bewahrt werden müssen, um diesen Wasserzyklus aufrechtzuerhalten. Wer jedoch einmal entlang der Küste Chinas von Peking nach Hongkong oder aber auch entlang anderer Küsten geflogen ist, weiß wie schlimm es um diese durchgängigen Waldgebiete bestellt ist. Wo keine Wälder mehr anzutreffen sind, zählt jeder Baum, gerade in urbanen und suburbanen Räumen. Weniger um zusätzliche Wasserverdunstung zu ermöglichen, als zumindest den vielen Menschen, die in Städten leben, einen direkten, erfahrungsbasierten Zugang zu den Ökosystemleistungen der Bäume zu gewähren.

Wohlleben erklärt, dass diese Ökosystemleistungen in der Regel von der Biomasse des jeweiligen Baumes abhängen. So erzeugen Bäume mit einem Meter Stammdurchmesser dreimal so viel Biomasse wie Exemplare, die nur halb so dick waren. Alt bedeutet bei Bäumen also nicht schwach, gebeugt und anfällig, sondern ganz im Gegenteil schwungvoll und leistungsstark. Baumkreise sind demnach deutlich produktiver als Jungspunde und im Zusammenhang mit dem Klimawandel wichtige Verbündete der Menschen (lies weiter im Kapitel: CO2 Staubsauger). Es überrascht daher immer wieder, wenn lokale Gemeinden das Abholzen von Altbestand mit dem Nachpflanzen von drei Jungbäumen rechtfertigen. Laut Aussagen von Dr. Rötzer, einem Wissenschafter an der TU München, der die Kühlungsleistung von Stadtbäumen erforscht, müsste eine 100 jährige Linde mit zumindest 30-40 Jungbäumen ersetzt werden.

Weitere wichtige Einsichten, die Wohlleben mit dem Leser teilt, betreffen eben diese Kühlleistung von Wäldern und die Stellung von vielen Bäumen als Schlüsselarten. Ein intakter Wald (wie auch jeder einzelne Baum) kann im Sommer schwitzen und erzielt damit denselben Effekt wie der Schweiß bei uns Menschen. Der Baum kühlt sich aber nicht nur selbst, sondern erzeugt auch in seiner Umgebung eine kühleres Mikroklima, welches allen die ihn als Habitat nutzen, zugutekommt. Wiederum ist der Boden von sprichwörtlich grundlegender Bedeutung, denn je besser dessen Zustand, desto mehr Wasser kann gespeichert werden, um gerade bei hohen Temperaturen zu kühlen (lies mehr im Kapitel: Die hölzerne Klimaanlage).

Was ist eine Schlüsselart? Eine Spezies, von der viele andere Arten abhängig sind. Und genau dies trifft auf viele Bäume zu. Wohlleben bezeichnet sie daher als Mutterschiffe der Biodiversität und beschreibt das Experiment eines Forschers, der einen 52 Meter hohen Baum mit Pestiziden eingesprüht hat, um eine definitive Zahl an in diesem Habitat lebenden Arten zu erhalten. Die erstaunliche Zahl: 2041 Tiere und 257 Arten wurden gezählt. Die Kernnachricht hierbei ist jedoch sowohl in diesem Kapitel wie wohl des gesamten Buches: der Mensch ist eine vom Baum abhängige Art. Prädikat Pflichtlektüre.