Donate button

R.I.P. Monumentale Sommerlinde in Ochsenburg gefällt.

Umwelt

Autor:

Green Steps

Short summary:

St. Pölten, 21. Juli, 2022. Sommerlinde unter dem Schloss Ochsenburg gefällt. Wir stehen unter Schock. Der Baum war mindestens 200 Jahre alt und zählte zu den fünf größten Linden welche wir in St. Pölten kartographiert haben. Unsere Vermutung, dass die Stadtverwaltung alte Baumriesen skrupellos zugunsten der Stadtentwicklung opfert, hat sich durch diesen Fall dramatisch bestätigt.

Herr Steiner (Name von unserer Redaktion geändert) erzählt uns, dass er sich mit seiner Frau über mehrere Monate von dem Baum gegenüber seinem Haus verabschiedet hat. Er wohnt seit 17 Jahren dort und kannte ihn in- und auswendig. Er weiß, dass er mindestens 200 Jahre, eher aber mehr als 300 Jahre alt war. Herr Steiners Stimme verschlägt sich und er beginnt zu schluchzen, als er über den Baum spricht, der in seiner ganzen Pracht von einem Bagger brutal abgerissen wurde. Als Baumeigentümer war er mehrere Male am Bauamt, um den Baum zu schützen, aber dort wurde ihm immer wieder gesagt, dass das nicht möglich sei, denn der Baum sei kein Naturdenkmal. Er könne die Fällung vielleicht um 5 Jahre verzögern, wenn er sich die Anwaltskosten leisten wolle, aber letztendlich würde die Stadt obsiegen.

Warum sei der Baum überhaupt gefällt worden? Laut Herrn Steiner hat der Nachbar sich kontinuierlich bei der Gemeinde beschwert, weil von der Hauptstraße, die über die Traisen führt, bei Regen Oberflächenwasser auf sein Grundstück geronnen ist. Die Gemeinde hat irgendwann nachgegeben und einen neuen Gehsteig zum Schutz des Grundstückes beschlossen. Herr Steiner führt aus, dass dieser Gehsteig absolut sinnlos sei, da er nur 50 m lang bis zum zweiten Haus führe, dann würde er abrupt enden. Ein weiterer Grund für die Straßenverbreiterung ist die neue Siedlung im Süden Ochsenburgs, welche man nur über diese einspurige Brücke vom Norden erreiche. Das ehemalige Industriegelände sei in Baugründe umgewidmet worden, man habe eine Gasleitung von dort bis an das Anschlussstück in Ochsenburg gebohrt, und die Straße müsse zweispurig ausgebaut werden.

Das Bauamt teilte Herrn Steiner mit, dass er sich mit einem Nein zur Baumfällung gegen diese Zukunftsentwicklung der Stadt stellen würde. Die Verbreiterung der Strasse sei für die nächsten 80 Jahre geplant worden. Es wundert uns, dass ein so zukunftsorientiertes Bauamt nicht begreift, dass gerade der Erhalt eines mehr als 300 Jahre alten Baumes in Zeiten des Klimawandels zukunftsweisend ist. Jeder Baum in der Größe dieser Sommerlinde ist Habitat für mehrere hundert Spezien, die sich eine andere Heimat suchen müssen, wenn der Baum gefällt wird. Für etliche sogenannte abhängige Arten ist das Fällen der Linde mit dem Tod verbunden, weil sie kein vergleichbares Habitat in zumutbarer Nähe finden.

So war die Situation mit hoher Wahrscheinlichkeit für die Hirschkäfer, deren Larven nur im Totholz von alten Bäumen wachsen und deren Population europaweit aufgrund von Habitatverlust stark im Rückgang begriffen ist. Der Hirschkäfer ist laut der niederösterreichischen Artenschutzverordnung eine auf der roten Liste befindliche Spezies, dennoch wurde sein Habitat vorsätzlich von einer lokalen Regierungsbehörde zerstört. Herr Steiner erzählt uns, dass er jeden Sommer den Flug der Hirschkäfer von seiner Terrasse aus mit seiner Frau beobachtet hat. Sie hätten in den abgestorbenen Ästen der Linde genistet und seien im typisch senkrechten Flug vom Baum in der Abenddämmerung gestartet.

Die abschließende Frage ist folgende: handelt es sich bei der Fällung dieses alten Baumes um ein Versehen, einen Einzelfall oder um eine Strategie? Sollte es sich um Strategie handeln, so muss der Stadtregierung schleunigst ein Schnellsiedekurs in Klimamitigierungsmaßnahmen erteilt werden, denn nichts kühlt die Temperaturen in einer Stadt so nachhaltig und effektiv ab wie große Bäume. Sie stellen im Alter von über hundert Jahren bereits eine nicht erneuerbare Ressource dar, da 100-jährige Bäume nicht einfach aus dem Ärmel geschüttelt werden können; 300-jährige noch viel weniger.

Wer sich an die letzte der einst vielen mächtigen Linden beim Schloss Ochsenburg erinnern möchte, kann das hier tun. Wir haben zur letzten alten Ochsenburger Linde - wie auch von 400 weiteren mehr als 100 jährigen Bäumen in St. Pölten Bildmaterial und Informationen gesammelt. Jeder kann bei diesem Projekt mitmachen! Denn im Gegensatz zum Baumkataster des Magistrats ist es öffentlich zugänglich.